Auf einem sinkenden Schiff?
Krisenszenarien, Hoffnungsbilder und neue Horizonte von Kirche
Herbstkonferenz 2016,
24. bis 27. Oktober 2016, Evangelische Akademie Bad Boll
Also so was Pessimistisches können sich ja nur Pfarrer ausdenken!
Es waren gerade Reaktionen wie diese, die uns dazu brachten, die Frage der HK 2016 zu lieben: Sind wir als Landeskirche auf einem sinkenden Schiff? Fast immer war diese Frage nämlich der Anlass für ein längeres Gespräch: Sind es Stürme, die da um und in unserer Kirche toben? Wie gehen wir mit den Zahlen und Prognosen zur Kirche um? Wo steuert die Kirche hin?
Zur Konferenz kamen 130 Pfarrerinnen und Pfarrer, die gerade angeheuert hatten. Sie brachten mit: 130 Perspektiven auf die Lage unseres kirchlichen Schiffes. Angestoßen von allerlei statistischem und meinungsbildendem Material, konnten wir zum Auftakt unsere jeweilige Sicht der Kirche ausarbeiten und auf einer Kartonschachtel wiedergeben. Aus den dadurch gestalteten 130 Innensichten entstand schließlich ein Schiff im Festsaal der Akademie, das uns die Konferenztage über vor Augen war.
„Wo siehst Du momentan die größte Flaute in unserer Kirche?“ Bei dieser Soziometriefrage zum Einstieg ergab sich ein eindrückliches Bild: Die meisten standen bei „Innovationen“ und bei „Freiheit“.
Im ersten Hauptvortrag stellte uns Prof. Dr. Gerald Kretzschmar auf unser Thema eine mindestens genauso provokante Gegenfrage: Wem nützt die Rede von der Krise? Wer will dadurch seinen persönlichen oder kirchenpolitischen Interessen Nachdruck verleihen?
Kretzschmar ermutigte dazu, die Pluralität kirchlichen Lebens zu würdigen. Der Sonntagsgottesdienst ist ein Ort gemeindlichen Lebens. Die vielen weiteren Orte wahrzunehmen, zu würdigen und als Gestaltungsformen von Kirche ernst zu nehmen – das eröffnet eine befreiende Perspektive auf den Kurs unserer Kirche.
Bei einem Abend der Begegnung trafen wir zwölf Gäste aus unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft. In vier speed-dating-Gesprächsrunden erfuhren wir, wie ein Unternehmer die Kirche sieht, ein Landtagsabgeordneter, ein Journalist oder zwei geflüchtete Christen aus dem Iran.
Prof. Dr. Jörg Lauster aus München war am Dienstag zu Gast: Es sei, so Lauster, unstrittig, dass die Kirche mit Entinstitutionalisierung, Entdogmatisierung und Entmoralisierung zurechtkommen müsse. Wer nun die Faktenlage als Untergang interpretiere, der versuche letztlich mit einer Erweckungsbewegung gegenzusteuern. Wer die Fakten dagegen als Anzeige für einen Transformationsprozess sehe, der versuche sich an einer Übersetzung der Traditionen in das heutige Lebensbewusstsein hinein. Dabei befinde man sich immer in einer Spannung zwischen Sakralität und Lebensnähe. Beides miteinander zu vermitteln sei wichtig. Dafür brauche es ein Probierfeld und theologische Kompetenz. Selbst wenn es sich anfühlt, als würden wir nasse Füße bekommen, sinken und untergehen werden wir als Kirche nicht.
Prof. Dr. Annette Noller nahm uns auf einen Ausflug in unterschiedliche Kirchentheorien mit und konfrontierte diese mit den Ergebnissen der jüngsten KMU (V).
Neben Ordinierten kommunizieren auch DiakonInnen, MesnerInnen und Ehrenamtliche das Evangelium an pluralen Orten. Noller betonte deswegen die Chance der diversen Beauftragungen. Gerade in Zeiten der immensen Belastung der Pfarrerschaft könnte sich Gemeindeentwicklung durch multiprofessionelle Teams vollziehen, ohne dass PfarrerInnen ihre Kernaufgaben vernachlässigen müssten. Je besser vernetzt miteinander und in die Gesellschaft hinein und je pluraler sich Kirche ereignet, desto leichter wird die Kirche als Leib Christi erkennbar.
Die Pluralität der Ansichten und die Anstöße zu Erneuerungen treffen sich nun gerade in Gremien unserer Kirche. Wie werden also unsere Sitzungen zu Orten der Spiritualität, in denen exzellente Ergebnisse erzielt werden können?
Mit dieser Frage hatten wir am Mittwoch Dr. Matthias zur Bonsen eingeladen. Unter dem Titel „Ver-Sammlung“ verbarg sich ein erstaunlich konzentrierender Vortrag, der auf die Grundlagen für gelingende menschliche Kommunikation abzielte. Zur Bonsen machte deutlich, dass frustrierende Ergebnisse in Diskussionsprozessen in erster Linie nicht mit dem Inhalt und der Unterschiedlichkeit der Perspektiven zu tun haben, sondern mit der inneren Haltung, in der jede/r seinen Beitrag zur Sache leistet. Er warb für einfache, aber wirksame Verhaltensregeln, die von einem Moderator überwacht und eingefordert werden:
- Der andere/die andere braucht Deine volle Aufmerksamkeit, um gut denken zu können. Also schaue Deinen Gegenüber an, wenn sie/er spricht. Das ist ein Zeichen des Respekts.
- Lass sie/ihn ausreden! Das heißt: Höre zu und schweige! Warte so lange, bis er/sie wirklich nichts mehr zu sagen hat.
Aus dieser gegenseitigen Akzeptanz heraus wachsen erst die tragfähigen Ergebnisse.
Chancen und Optionen auf Krisen zu reagieren, boten zB. der emotionale, energiegeladene Theaterworkshop “Schöner Scheitern”, oder Ute Berger, die in ihrem Workshop “Effizientes und effektives Arbeiten im Pfarramt“ Rettungsringe in unsere Verwaltungsfluten warf. Gerade dieser Workshop erzielte den absoluten Teilnehmerrekord. Ein Zeichen?
Bei all dem Ernst war es dann erfrischend, mit der Kabarretgruppe Pfaffenpfeffer auch mal über sich selbst lachen zu können oder bei der Party sich das salzige Krisengerede aus dem Leib zu schwitzen.
Die HK 2016 – das war der gemeinsame Versuch, vier Tage lang unser landeskirchliches Schiff und die Wetterlage zu sichten. Wir hatten dabei nicht im Sinn, alles klärende und „rettende“ Konzepte zu formulieren. Trotzdem war da doch ein Gedanke, der durch Vorträge, Diskussionen, Workshops und beim gemeinsamen Abendmahlsgottesdienst zum Leuchten kam: Bei allen Wellen und Wogen, denen es ins Auge zu sehen gilt: Angst machen muss uns die Zukunft unserer Kirche nicht. In diesem Sinne kann man die Themenstellung dieser HK als eine Art paradoxe Intervention begreifen, die wir an uns selbst durchführten.
Also: Im Vertrauen auf den Herrn über Wellen und Meer: Don´t panic!
Für den Vorbereitungskreis der HK 2016:
Hanni Müller, Charlotte Moskaliuk, Thorsten Kisser, Christian Leidig