der Vikarinnen und Vikare und der Pfarrerinnen und Pfarrer in den ersten Amtsjahren der Württembergischen Landeskirche

2015

Die Herbstkonferenz 2015: INSPIRATION! Wer inspiriert mich? Wie inspiriere ich?

CSC_5136Montagnachmittag in der Akademie Bad Boll: ein riesengroßer Raum, der in der Mitte ganz leer ist. An den Seiten sitzen viele junge Menschen, in einem großen Kreis verteilt. Ein Mann erhebt sich, in seinen Händen eine Kiste voller Bälle, große und kleine, zusammen bestimmt fünfzig Stück. Der Mann macht eine ausholende Bewegung, und – rumms – schleudern und schweben, ruckeln und zuckeln die Bälle durch den Raum. Die Bälle erreichen die Menschen am Rand. Und dann geht es los: Die Menschen ergreifen die Bälle und rollen sie zurück. Neue Kunststücke werden ausprobiert: Schaffe ich es, zuerst diesen großen Ball da vorne zu treffen und mit dem dann den kleinen gelben dahinter? Und ist das nicht so wie mit der Inspiration selbst: Sie kommt unerwartet auf mich zu, und ich gehe dann spielerisch mit dem um, was sich mir zeigt? Der Raum ist nicht mehr leer, der Raum ist ein großer Spiel-Raum für 150 Vikarinnen und Vikare, Pfarrerinnen und Pfarrer in den ersten Amtsjahren. Ein großer Inspirationsraum für unerwartete Bewegungen und Begegnungen: der Beginn der Herbstkonferenz 2015.

Mit dieser Inszenierung begannen Erkundungsgänge, die sich vor den drei Fragen entfalteten, welche den Hintergrund der Herbstkonferenz bildeten:

  1. Viel ist die Rede von der jungen Generation als der „Generation y“: In allen Bereichen der Neuen Medien sind sie hochkompetent, aber angesichts der vielen politischen und ökonomischen Krisen der letzten Jahre auf Ausgleich und Sicherheit bedacht. Von der eigenen Arbeit erwarten sie persönliche Sinnerfüllung und räumen zugleich der Work-Life-Balance einen hohen Stellenwert ein. Die heutigen Vikarinnen und jungen Pfarrer wollen nicht nur dieser Generation das Evangelium verkünden, sondern sind selbst oftmals Teil der Generation y. Umso drängender stellt sich die Frage, wie sich die heutigen Vikare als ganze Personen und in ihrem umfassenden Berufsbild von der Lebendigkeit, dem Mitreißenden, Verstörenden, Grenzsprengenden des christlichen Gottes anrühren und prägen lassen und von seiner zarten, liebevollen Seite. Was inspiriert, wer inspiriert mich dafür? Wer hilft mir, Gewissheit zu erlangen, im richtigen Beruf zu sein? Personen, die beeindrucken? Kunst, die ergreift oder befreit? Worte, die treffen? Kirchenräume, die Möglichkeiten eröffnen? Politische Aktivitäten, die aufrütteln?
  2. DSC_4702 - KopieUnd wie kann das Angerührtsein durch den lebendigen Gott im pfarramtlichen Alltag sichtbar bleiben? Kann ich freitags in der sechsten Schulstunde inspirierend für Andere sein oder am Ende einer langen KGR-Sitzung? Kann ich überraschend vom immer neuen Gott reden, wenn ich den fünften Sonntag nacheinander am selben Ort Gottesdienst halte und zwischendurch noch diverse Andachten und Beerdigungen? Kann ich inspirieren, wenn ich neben der Verwaltung der Gemeinde noch Konflikte im Kindergarten zu lösen und neben der Vakaturvertretung den neuen Pfarrplan umzusetzen habe? Wie öffne ich mich hörend dem Geist, wenn ich im Gottesdienst, in Gruppen und Gesprächen selbst sehr viel rede?
  3. Auf der Suche nach der Inspiration für die ganze Person und für den pfarramtlichen Alltag stellt sich die Frage, wie der unverfügbare Gott im Leben Raum gewinnt. Gibt es Techniken und Handwerkszeug, Traditionen und Erfahrungen, die mir helfen, mich zu öffnen? Meditationen, Musik, Drogen, Gebete, Spaziergänge? Konflikte oder Muße, Menschengruppen oder Naturerfahrungen? Ritualisierte Stundengebete oder kleine  Ausbrüche aus Routinen? Begegnungen mit Flüchtlingen oder mit Funktionseliten?

DSC_4729Um Antwortmöglichkeiten für diese Fragen auszuloten, wurden zum einen die bewährten Formate der Vorträge (die Ihr teils auf dieser Homepage findet) und der Workshops angeboten.  Dabei gab es einen Workshop zum Predigtslam von Deutschlands wohl bekanntestem Predigtslamer, Bo Wimmer, und es wurden Arbeitsräume eröffnet zur Kirchenraumpädagogik, zum Bibliodrama, zu exegetischer Arbeit, zu Fresh X und zu vielem Anderen. Zum anderen wurden neue, experimentellere Formate in Szene gesetzt: So kamen am eröffnenden Montagnachmittag alle Teilnehmenden zu gemeinsamen Werkeln nach der Art der PLAYING ART zusammen, begannen mit Ball-Kunst (s.o.) und endeten mit der materialreichen Gestaltung des eigenen Gesichts. Am Dienstagabend lockten uns drei Hamburger Künstlerinnen in eine Performance hinein, in der letztendlich alle Zuschauer selbst zu Aufführenden wurden. In reizvoller Verfremdung und völligem Schweigen loteten wir dabei die Grenze zwischen Gottesdienst und Kunst aus. Zudem wurde die ganze Herbstkonferenz von dem als Klausner lebenden Benediktinermönch Jakobus Kaffanke begleitet. Durch seine Anwesenheit regte er zu vielerlei Austausch an und irritierte produktiv durch seine eigene Lebensform. Vor allem aber praktizierte er die wunderbare Ökumene des Gebets, indem er mit uns zusammen Gott lobte in Stundengebeten und frühmorgendlichen Schweigemeditationen.

DSC_4941Dass die frühmorgendliche Mittwochs-Meditation acht tapfere Teilnehmer fand, war umso bemerkenswerter, als am Dienstagabend eine Party stieg, die den Namen wahrhaft verdiente. Mit vielerlei köstlichen Cocktails im Tank und angeheizt von DJ Thommy Thunder stieg die Stimmung bei vielen Partymäusen bis in die späte Nacht hinein. Der Abschlussgottesdienst am Mittwochabend bot dann das Kontrastprogramm: In ruhiger, intensiver Atmosphäre war der Raum fokussiert auf den Altar in der Mitte, auf dem ein riesengroßes, weißes Kreuz stand – und sonst nichts. Abgesehen von der Austeilung des Abendmahls selbst agierten die Liturgen ausschließlich vom Rand her und gaben damit die Mitte der ganzen Herbstkonferenz ganz frei für denjenigen Gott, der uns gerade auch dadurch inspiriert, dass er alle menschlichen Darstellungsformen bricht und übersteigt.

Martin Wendte 


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