Zwischen ernstem Spiel und spielerischer Spiritualität
„SPIELITUALITÄT: aufs Spiel setzen“ Unter dieser Überschrift trafen sich über 130 Vikarinnen und Vikare sowie die Unständigen Pfarrerinnen und Pfarrer zur Herbstkonferenz 2013 vom 21.-24. Oktober in Bad Boll. Sie wollten sich durch Vorträge, Diskussionen und Workshops mit dem Spannungsfeld von Spiel, Kunst und Kirche auseinandersetzen.
Pfarrerinnen und Pfarrer sind Spieler, so der Ausgangspunkt der Herbstkonferenz. Denn sie spielen im Religions- und im Konfirmandenunterricht, aber auch beim Singen und Musizieren. Und am Sonntag feiern sie in Liturgie und Predigt ein Heiligen Spiel. Denn Spiele sind nichts Kindisches. Vielmehr sind sie ernsthafte und freudvolle Erkundungen manchmal ungeahnter Wirklichkeiten. Daher wohnt ihnen eine österliche Dimension inne: Im Spiel ist (mir) mehr möglich, als ich vorher dachte. Dabei erforsche ich immer auch mich selbst mit. Denn wer spielt, ist ganz im Spiel und ganz bei sich. Bisweilen ist er auch bei Gott, der den Spielraum unserer Wirklichkeit allererst eröffnet und der immer neues Spiel ins Leben bringt. Das Spiel bewegt sich dann im Raum der Spielitualität.
Um diesen verschiedenen Dimensionen des Spiels auf die Spur zu kommen, leuchteten drei Hauptvorträge theoretische Aspekte des Spiels aus: Dr. Gisela Matthiae arbeitet selbst als Clownin und erklärte in ihrem Einführungsvortrag am Montagabend, dass der Clown ein guter Spieler und ein Vorbild im Glauben ist. Denn er begegnet der Welt in staunender Offenheit, in der Haltung der zweiten Naivität: Ernst, aber nicht verbissen. „Zwischen Ernst und Überernst liegt ein Spielraum. Und diesen Spielraum der Freiheit des Humors und der Gnade nehme ich mir.“ Professor Dr. Christoph Seibert, Systematiker aus Hamburg, hob am Dienstagmorgen hervor, dass all unser Denken und Tun in einem Raum ursprünglich-spielerischer Vagheit anhebt, in dem wir uns immer schon befinden. Wir empfangen Eindrücke, die wir spielerisch näher bestimmen. In diesem offenen Raum ist auch die Religion zu verorten, der somit etwas wesentlich Spielerisches innewohnt. Professor Buland, Leiter des Instituts für Spielforschung an der Universität Salzburg und seit Jahren einer der bestimmenden Persönlichkeiten der Spielforschung und des PLAYING ARTS, hielt am Mittwochnachmittag in freier Rede den Abschlussvortrag. Er betonte, dass wir Europäer von den Indern lernen können, richtig zu spielen. Denn die Inder lehren uns, unser alltägliches, verzwecktes Leben als Schein – Maya – zu erkennen, das uns von wahrem Spielen abhält.
Um das Spielen tiefer zu erforschen, muss man selbst spielen. Daher stellten die ganz unterschiedlich gestalteten Workshops das eigentliche Zentrum der diesjährigen Herbstkonferenz dar. In einigen Workshops wurden Aktivitäten eingeübt, die direkt in pfarramtliche Vollzüge übernommen werden können. In anderen wurde sehr viel freier gespielt. Um dem Phänomen des Spiels in seiner inneren Verbindung zur Spiritualität und zur Kunst gerecht zu werden, wurden die Workshops von Menschen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen und Ausbildungen angeleitet. Einige waren Pfarrer mit besonderem Interesse und vielen Zusatzqualifikationen in liturgischen oder spielerischen Vollzügen. Andere waren ausgebildete Schauspieler und freie Regisseure, Musiktherapeuten und Musiker oder Architekten. Damit zeigt die Auswahl der Workshopleiter, was die Herbstkonferenz aufgrund ihres Themas in diesem Jahr in besonderem Maße war: ein Ort der spielerischen Grenzüberschreitung. Ein Ort, an dem sich in Theorie und Praxis die Einflüsse von Spiel, Kunst und Kirche trafen und wechselseitig bereicherten, kommentierten, erhellten, herausforderten, irritierten.
Alle Einflüsse der Herbstkonferenz kamen im abschließenden Abendmahlsgottesdienst am Mittwochabend zusammen. Er kombinierte die strenge Form des Heiligen Spiels der Deutschen Messe mit einer kreativ-vielstimmigen Predigt. Zuletzt vereinte er alle Spielenden der letzten Tage am Tisch des Herrn, von wo aus sie gestärkt in den Ernst, den Überernst und die Spiele des Alltags gehen konnten.
Martin Wendte, Geschäftsführer der HK, Dezember 2013