22.-25. Oktober 2018 | Evangelische Akademie Bad Boll
Die Kunst des Scheiterns. Ein Bericht von der Herbstkonferenz 2018
Vom 22.-25. Oktober 2018 haben sich in Bad Boll 140 Vikarinnen und Vikare sowie Pfarrerinnen und Pfarrer im unständigen Dienst zur jährlichen Herbstkonferenz getroffen. Sie fragten, warum Scheitern so schrecklich ist, experimentierten mit Fallhöhen und formierten sich täglich zweimal zu einem großen „Scheiterhaufen“. Für das Vorbereitungsteam berichtet Susanne Kreuser.
„Ist Scheitern das neue Yoga?“
Was zunächst unangenehm klingt, entpuppte sich zum großen Spaß: Wir wollten unser Konferenzthema auch praktisch erfahrbar machen und luden mehrfach zum heiteren Scheitern ein. Gleich am ersten Abend ließen wir dazu eine halben Tonne Legosteine in die Akademie liefern. Unter dem Motto „Der Turmbau zu Ba-Boll. My own private Berlin-Brandenburg“ konnten wir so das Scheitern von Großbaustellen am eigenen Leib nachempfinden. Es wurde bis in die Nacht hinein getüftelt und gebaut- Fertigstellungstermine wurden mehrfach verschoben. Es hallten viele „O Nein!“-Schreie durch den Festsaal der Akademie, bis schließlich doch stolze Architekten und Statikerinnen neben ihren neu-, und um- und wiederaufgebauten Bauwerken posieren konnten.
Ist das Scheitern vielleicht gar nicht so schlimm? Ist es nur ein Zwischenschritt auf dem Weg zur Optimierung eines Projektes? Diese Denkweise führt in Wirtschaftsunternehmen zur Fehlerfreundlichkeit. So gilt in der Start-Up-Szene das Mantra: „Fail fast, fail cheap!“. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint das Scheitern als Königsdisziplin des wirtschaftlichen Fortschritts. Maike Weiß brachte das in ihrer Eröffnungsrede so auf den Punkt „Laut Hochglanzmagazinen und Kalendersprüchen führt Scheitern zum Erfolg, lässt einen durch Fehler wachsen. Glaubt man der aktuellen Stimmung, muss es wirklich so sein: Scheitern ist das neue Yoga. Doch jeder, der es einmal am eigenen Leib erfahren hat muss zugeben: In Wahrheit ist das Scheitern überhaupt nicht sexy.“
Dass Scheitern niemals harmlos ist, daran erinnerte uns auch der Psychotherapeut Ferdinand Mitterlehner. Anhand zahlreicher Beispiele von Menschen, die er beim Umgang mit Krisen und Erfahrungen des Scheiterns begleitet, verdeutlichte er uns die existentielle Dimension des Phänomens: Scheitern bedeutet Verlust der bisher gültigen Sinnkonstruktion und hat einen nicht zu unterschätzenden negativen Effekt auf die körperliche und psychische Gesundheit. Außerdem führt es uns, bei Licht betrachtet, in die Einsicht, dass wir sterbliche Individuen mit ein-maligen Lebensentwürfen sind. Was zunächst als Zwang erscheint- das eigene Leben umdeuten zu müssen, kann aber auch zur Chance werden, wenn es gelingt, eine Situation neu zu bewerten. Bei der Ausbildung der dazu nötigen Resilienz- so ermutigte der Psychologe uns als junge Pfarrer_innen- könnten wir durchaus mithelfen, indem wir belastbare Sinnkonstruktionen und Beziehungsnetzwerke anbieten.
„Augen auf und weiter gehen!“
Um theologisch über das Scheitern zu sprechen, führte uns Prof. Dr. Klaas Huizing bewusst vor die Schwelle zur Sünde. In seiner tugendethischen Relecture von Genesis 4 zeichnete er nach, wie es zu Kains moralischem Scheitern kam: Dass sein zweitgeborener Bruder vorgezogen wurde, widersprach seinem Selbstbild und löste eine Mélange von Wut, Ärger und nicht zuletzt Scham bei ihm aus. Für ihn war es attraktiver, die Scham in Schuld zu verschieben und in der Aggression wieder aktiv zu werden, als die extreme Passivität des Schamgefühls auszuhalten. Demgegenüber wäre das Ziel von Ethik, im wahrsten Sinne des Wortes „open minded“ zu bleiben und ein Selbstbild zu entwickeln, das hinterfragbar bleibt, sei es durch andere Menschen oder durch Gott. Dabei können uns Formen der Selbstdistanzierung, allen voran der Humor, helfen.
Wie sich eine heilsame Selbstdistanzierung anfühlt, konnten wir im Theaterworkshop mit Julia Fußhoeller am eigenen Leib erfahren. Als Clowninnen und Clowns durften wir übereinander lachen. Auch hier ermöglichte es die Verfremdung, uns selbst in der Szene wiederzuerkennen und daran zu wachsen. Die existentielle und die spielerisch-erfahrungsbasierte Dimension von Scheitern müssen sich also keinesfalls ausschließen, sondern können sich- ganz im Gegenteil, gegenseitig befruchten!
In diesem Sinne schrieben wir Texte und zerknüllten sie wieder, hörten von gescheiterten Gemeindeprojekten und warum es sich dennoch gelohnt hat, sie zu starten und fragten uns, wie man das Scheitern von Beziehungen seelsorgerlich und im Ritual begleiten kann. Bei allen Diskussionen und Workshops, aber auch in Gesprächen am Rande des Programms kamen wir in einen außergewöhnlich hohen Maße in einen ehrlichen Austausch darüber, was uns in Pfarramt und Leben täglich gelingt und woran wir scheitern. Ein zum Abschluss gefeierter Gottesdienst wurde für uns zum Ort, diese Bruchstücke gemeinsam auszuhalten. Nach vier Tagen in Boll verabschiedeten wir uns ermutigt und im kollegialen Miteinander gestärkt.
Text: Susanne Kreuser
Für das Vorbereitungsteam Herbstkonferenz 2018: Carolin Enderle, Eva Karmrodt, Markus Fellmeth, Benjamin Helmschrott, Linde Wenzlaff, Stefanie Heimann, Christian Graefe, Juliane Lehmann, Christian Leidig, Maike Weiß
Bilder: Stefanie Heimann und Susanne Kreuser.
Bildergalerie
Materialien