21. bis 24. Oktober 2019 | Evangelische Akademie Bad Boll
Spiritualität – mal ganz praktisch. Ein Bericht von der Herbstkonferenz 2019.
Von 20.-24. Oktober 2019 war es wieder einmal soweit: Ca. 120 Vikar*innen und unständige Pfarrer*innen trafen sich zur jährlichen Herbstkonferenz. „Spiritualität mal ganz praktisch“ lautete das Thema – und ganz praktisch sollte es auch werden. Für das Vorbereitungsteam berichtet Johannes Seule. null
Spiritualität, die kleidet
„Mal“ ganz praktisch: Der Untertitel suggeriert, dass es im Pfarrer*innen-Alltag, erst recht aber im Kontext einer Fortbildung hauptsächlich um die Theorie der Praxis geht. An einer Praxis ohne Reflexion oder gar einem Exodus aus der Metaebene war uns jedoch nicht gelegen. Wie sehr das eine mit dem anderen zusammenhängt, wurde von Anfang an deutlich. Im Gespräch mit dem fiktiven Gast Fulbert Steffensky stellten wir uns der Frage: Wo finde ich meine spirituellen Quellen? null
Unsere vielen unterschiedlichen Zugänge wurden in einem eindrücklichen Bild greifbar: Aus vielen einzelnen Stofffetzen entstand ein bunter Flickenteppich, ein „Mantel der Spiritualität“. Foto: Jonathan Wahl
Vielleicht ist es ja mit der Spiritualität, oder besser: den Spiritualitäten gar nicht so anders wie mit unserer Kleidung. Sie ist einerseits Ausdruck unseres Inneren, unserer Interessen, unseres Charakters. Andererseits wirkt sie auch von außen nach innen, kann in uns etwas Neues anstoßen und freisetzen. Obwohl die Kleidungs-Metapher spätestens bei der Frage nach der Verfügbarkeit spiritueller Erfahrungen an ihre Grenze gelangt, schuf sie einen großen Freiraum für alles praktische An- und ausprobieren.
„Amen, A-Women, A-Whatever“. Spirituelles Windowshopping und Kleiderkreisel
Nach dem Blick in den persönlichen spirituellen Kleiderschrank führte der Weg direkt auf den großen Markt der Möglichkeiten – genauergesagt direkt in die Begegnung mit Menschen am Rand oder auch weit außerhalb unseres bisherigen „spirituellen Spektrums“.
Im einem nach der „Open Space“-Methode gestalteten spirituellen Kleiderkreisel wurde am folgenden Tag auch die spirituelle Vielfalt sichtbar, die in der Gemeinschaft der jungen Kolleg*innen bereits schlummert.
„Was würde ich festhalten, wenn ich nur genau EIN Polaroidfoto machen kann?“ Fragen wie diese können helfen, auch inmitten der scheinbar alltäglichen Umwelt mehr als das offensichtliche zu sehen, und – wer weiß – Gottes Wirken zu entdecken. Hier machen sich fünf Kolleg*innen auf die Suche. Foto: Corinna Karagic
Der evangelische Dresscode
Bei der immer weiter zunehmenden Vielfalt auf dem Markt der spirituellen Formen stellt sich die Frage: Kann ich alles tragen was mir gefällt? Was steht evangelischen Pfarrer*innen zu Gesicht? Was macht „evangelische“ Spiritualität aus? Jörg Schneider, Professor an der Evangelischen Hochschule Moritzburg zeichnete in einem historischen Überblick den Paradigmenwechsel von der Theologenfrömmigkeit zur Laienfrömmigkeit, von den normativen zu den fluiden Formen. Jede soziale und ökonomische Lebenswelt bringe eine eigene religiöse Praxis und Haltung hervor – dabei gebe es jedoch stets Ungleichzeitigkeiten, wie beispielsweise das Singen mittelalterlicher Lieder im 21. Jahrhundert. Dabei habe womöglich die Tendenz zur Loslösung von der Institution selbst den Charakter einer Tradition. Auf der Suche nach einem „evangelischen Dresscode“ inmitten der Vielfalt könne die Rechtfertigungslehre als Fixpunkt dienen.
Von Taize bis zum „Soaking“
Schon der Blick auf das Programm verriet, dass die Beschreibung „mal ganz praktisch“ keine leere Hülse bleiben sollte. Während spirituelle Angebote auf Freizeiten und Tagungen sich immer wieder als Morgenandacht oder Tagesabschluss ganz am Rande des „eigentlichen“ Programms wiederfinden, waren sie bei der Herbstkonferenz das „Eigentliche“. Altvertrautes wie Tagzeitengebete und Taizeandachten hatte genauso seinen prominenten Platz wie „Soaking“ – das meist im charismatischen Bereich praktizierte betende Liegen in Gottes Gegenwart zu moderner Lobpreismusik.
Spiritualität an der Grenze zur ökonomischen Ressource: Spiritual Care
Macht Spiritualität gesünder? Eine gesundheitswissenschaftliche Perspektive öffnete Prof. Dr. Constantin Klein mit einem Einblick in aktuelle Studien im Bereich der „Spiritual Care“. Diese stellten
eine Korrelation zwischen Spiritualität und religiösem Wohlbefinden fest. Gleichzeitig sei auch die Natur der Spiritualität bzw. der Gottesbeziehung von großer Bedeutung, da die negativen Auswirkungen einer von Angst und Leistungsdruck geprägten „negativen“ Gottesbeziehung deutlich stärker seien als die positiven Auswirkungen einer „positiven“ Gottesbeziehung. In einem Gesundheitssystem, in dem immer wieder der Tun-Ergehen-Zusammenhang wiederauferstehe („Hätten Sie mal gesünder gelebt, dann wären Sie jetzt nicht krank“), sei Seelsorge ein umso wichtigeres Element, dass sich gleichzeitig allen Ökonomisierungsversuchen trotzen müsse.
Suit Up! Spiritualität und Verwandlung
Spirituelle Praxis ist kein Selbstzweck, sondern führt uns zuletzt mitten in die Aufgaben und Herausforderungen des Alltags hinein und bewährt sich an ihnen. Das wurde im interaktiven Podiumsgespräch deutlich, bei dem verschiedene Ehrenamtliche von ihrem eigenen spirituellen Suchen und Finden berichteten. Spiritualität – mal ganz praktisch – ist immer verwandelnde Spiritualität. An diese Erkenntnis aus dem Gespräch schloss der abschließende gemeinsame Gottesdienst an – aus Gottes verwandelnden Geist gewinnt Spiritualität – ob praktisch oder theoretisch – ihren „Spirit“: „Wir alle aber spiegeln mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn wider, und wir werden verwandelt in sein Bild von einer Herrlichkeit zur andern von dem Herrn, der der Geist ist.“ (2. Korinther 3,18)
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